Lösen wir es mal auf. Zum besseren Verständnis fangen wir hinten an.
willweg hat geschrieben: ↑07.11.2022 16:24:16
(4) […] die Deutschen, die ja kein Pendant zum Signal VORSICHT haben […]
Doch, die Signale Ks 2 und Vr 0 entsprechen ziemlich exakt dem Signal
Vorsicht: Es kann ein Haupt- oder Sperrsignal in Haltstellung oder ein Gleisabschluß (Signal Sh 2) folgen. Im deutschen Signalbuch wird darauf nur nicht so dateilliert eingegangen, denn allen ist eins gemeinsam: Es ist am Ende der Fahrstraße anzuhalten.
Auch ein einzeln stehender Geschwindigkeitsanzeiger kann bereits vor dem nächsten Hauptsignal folgen. Da der Geschwindigkeitsanzeiger mit Kennzahl* 2 und 3 angekündet wird durch einen Geschwindigkeitsvoranzeiger mit Kennzahl* 2 bzw. 3, ist es nicht Aufgabe des Signals Ks 2 bzw. Vr 0, auf den zu erwartenden Geschwindigkeitsanzeiger aufmerksam zu machen. Daher wird bei den Signalen Ks 2 und Vr 0 nicht gesondert darauf hingewiesen. Das ist der Unterschied zum Signal
Vorsicht (na gut, und das Signal
Vorsicht kann auch rückstrahlend sein, statt zu leuchten).
*
Ich habe hier absichtlich „Kennzahl“ statt „Kennziffer“ geschrieben. In der Eisenbahn-Signalordnung, und dementsprechend auch im Signalbuch, wird der Begriff „Kennziffer“ verwendet. Das ist aber falsch: Eine Ziffer ist ein einzelnes Zeichen, so wie ein Buchstabe. Eine Zahl kann aus einer oder mehreren Ziffern bestehen, so wie ein Wort aus einem oder mehreren Buchstaben bestehen kann. Wird am Geschwindigkeitsanzeiger bspw. „10“ angezeigt, handelt es sich um eine Zahl, die aus zwei Ziffern besteht. Unverständlich, daß dem deutschen Amtsschimmel seinerzeit ein derartiger Fehler unterlaufen ist. – Und dieser bis heute nicht korrigiert wurde.
willweg hat geschrieben: ↑07.11.2022 16:24:16Wie signalisieren das alles die Deutschen[…]?
Je nach Fahrweg und vorhandenem Bremsweg wird unterschiiedlich signalisiert. Ist der volle Bremsweg vorhanden, erfolgt regulär keine besondere Signalisierung, außer wenn es sich um ein Stumpfgleis handelt (dann mit Geschwindigkeitsanzeiger bzw. mit Stumpfgleis- und Frühhaltanzeiger). Ist der Bremsweg verkürzt, dann wird mit Zusatzlicht und ggf. Geschwindigkeitsanzeiger gearbeitet. Bei Kurzeinfahrten kann an Ks-Signalen auch zusätzlich der Stumpfgleis- und Frühhaltanzeiger erscheinen. In Österreich gibt es weder das Zusatzlicht noch den Stumpfgleis- und Frühhaltanzeiger. Dort werden Signale auch nicht so exzessiv wie in Deutschland im verkürzten Bremsweg aufgestellt. Der „normale“ verkürzte Bremsweg, also wenn bspw. ein Vorsigbal nur 800 Meter statt 1000 Meter vor dem zugehörigen Hauptsignal aufgestellt ist, wird in Österreich nicht signalisiert.
willweg hat geschrieben: ↑26.12.2022 15:47:10Erstens, warum gilt das nur für diese 2 von 6 möglichen Signalbedeutungen?
Das trifft halt nicht zu auf Hauptsignale, Signal
Fahrwegende und Stumpfgleisabschlüsse, weil die nicht „mal eben mittendrin“ stehen. Deren Abstand kann zwar auch verkürzt sein, aber der verkürzte Bremsweg wird wie erwähnt nicht signalisiert, sondern nur das „Mittendrin“.
Auf das Signal
Vorsicht – und zwar mit oder ohne weißen Rand! – kann bspw. ein Hauptsignal auf Bremsweglänge folgen oder bereits vorher ein Schutzsignal, z. B. in Bahnsteigmitte. Es ist aber ein Unterschied, ob der Zug auf dieses Schutzsignal nur mit 40 km/h zufährt, oder ob er mit 160 km/h angeprügelt kommt. Für die Fälle bis 40 km/h hat man offenbar entschieden, daß der Anhalteweg ausreicht, wenn der Lokführer erkennt, daß er gar nicht bis zum Hauptsignal am Bahnsteigende fahren darf, sondern nur bis zum Schutzsignal in Bahnsteigmitte. Bei einer Geschwindigkeit über 40 km/h reicht der Anhalteweg vom Erkennen des Schutzsignals womöglich nicht aus. Gleiches gilt für den Geschwindigkeitsanzeiger, der bereits im Weichenbereich lange vor dem folgenden Hauptsignal steht. Deshalb wird der Lokführer durch den weißen Rand des Signalschildes gewarnt: „Hier darfst Du zwar schnell fahren, richte Dich aber darauf ein, daß Du bereits früher als am nächsten Hauptsignal anhalten bzw. die Geschwindigkeit verringern mußt!“
willweg hat geschrieben: ↑26.12.2022 15:47:10[…] wäre es nicht präziser im Signalbuch zu sagen, dass die besondere Bedeutung des Signales mit weißem Rand nicht "zusätzlich" sondern "abweichend" gilt?
Nein, denn „abweichend“ heißt, es handelt sich um einen Gegensatz. „Zusätzlich“ bedeutet, es kommt etwas hinzu. – Genau das ist hier der Fall: Das Signal
Vorsicht mit weißem Rand hat erst einmal dieselbe Bedeutung wie das Signal
Vorsicht ohne weißen Rand. Und
zusätzlich kommen beim Signal
Vorsicht mit weißem Rand noch die zwei Bedeutungen der rechten Seitenhälfte
hinzu. Die auf der linken Seitenhälfte abgedruckten Bedeutungen gelten auch für das Signal
Vorsicht mit weißem Rand. Das gilt auch für die beiden Aussagen „am Standort des Vorsignal höchstens 40 km/h“, denn es kann ja sein, daß der Zug mal nicht in das durchgehende Hauptgleis fährt, sondern mit 40 km/h in die Ablenkung.
willweg hat geschrieben: ↑26.12.2022 15:47:10Drittens, ist es nicht irgendwie systemwidrig, dass ein VS eine Geschwindigkeitsbeschränkung für ein HS vorgibt? Denn ein HS vor oder am Standort des Signals VORSICHT ohne weißem Rand darf ja nie mehr als 40km zeigen. Sollte es nicht umgekehrt sein?
Es ist ja genau umgekehrt: Der weiße Rand ist dort,
weil das Hauptsignal an diesem Standort mehr als 40 km/h zulassen kann. Der weiße Rand gibt keine Geschwindigkeit vor, sondern er resultiert aus einer Geschwindigkeit. Beispiel Einfahrsignal mit Ausfahrvorsignal:
- Bei Bahnhof A beträgt die Geschwindigkeit am Einfahrsignal nie mehr als 40 km/h. Daher ist die Geschwindigkeit des Zuges immer so groß (oder besser gesagt „klein“), daß der Anhalteweg ausreicht, wenn der Lokführer Halt am Schutzsignal in Bahnsteigmitte erkennt. Kein weißer Rand am Signalschild des Ausfahrvorsignals erforderlich.
- Bei Bahnhof B beträgt die Geschwindigkeit am Einfahrsignal 120 km/h. Denkt der Lokführer bei seiner Bremsung nicht an das Schutzsignal in Bahnsteigmitte, ist es womöglich zu spät, wenn er Halt am Schutzsignal in Bahnsteigmitte erkennt. Daher erinnert ihn der weiße Rand des Signalschildes an den möglichen Frühhalt.
Das hat schon alles seinen Sinn. Es ist nur nicht so aufgeschrieben, daß man es unbedingt ohne Erklärung versteht. Da das Signalbuch aber kein Lehrbuch ist, muß es das auch nicht. Denn dafür erhalten die Mitarbeiter eine Ausbildung. Dennoch: Bis zur letzten Ausgabe (noch unter dem Namen „Signalvorschrift“) war die Formulierung in § 5 (5), wie sie Chris zitiert hat, glücklicher gewählt.