Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

Fragen der echten Bahntechnik, Lokbedienung, PZB usw.
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Leif K.
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Re: Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

#121 Beitrag von Leif K. »

Auch dem ist inhaltlich nichts hinzuzufügen, Achim. Das Grundproblem dahinter dürfte aber fast so alt sein wie die Eisenbahn selbst. Die Funktion des Systems basiert auf dem arbeitsteiligen Zusammenwirken einer Vielzahl von ausführenden Berufsbildern, die sich aufeinander verlassen müssen, ohne dass der oder die Einzelne notwendigerweise die Zusammenhänge auch an seinem individuellen Arbeitsplatz ausreichend durchschaut.

Und das Ergebnis, dass bei z.B. vier Beteiligten alle vier einen kleinen Fehler machen, von denen keiner alleine unfallkausal war, aber trotzdem jeder Einzelne durch regelkonforme Handlungsweise den Unfall wahrscheinlich hätte verhindern können, siehst Du auch in der gerichtlichen Aufarbeitung alter Eisenbahnunfälle, lange bevor die Untersuchungsstelle als Folge der Bahnreform überhaupt eingerichtet wurde.

Letzten Endes braucht es zwei Komponenten für die Sicherheit:
1.) Verständliche und praktikable Regeln
2.) Eine ebenso klare Aufsicht über die Dienstausübung, die im situativ richtigen Verhältnis kontrollierend und schulend gleichermaßen wirkt.
„Die Neugier steht immer an erster Stelle des Problems, das gelöst werden soll.“ (Galileo Galilei). Oder schlichter gesagt: Bei ehrlicher Neugier gibt es keine dummen Fragen.

Danke & Beste Grüße, Leif

Nachzugler
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Re: Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

#122 Beitrag von Nachzugler »

Direkt noch eine Frage: Bei Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Signalhal ... rhinderung steht
"Die maximale Länge des Haltfallverhinderungsabschnitts darf in Deutschland 400 m betragen, da Fahren auf Sicht nach betrieblichen Regeln noch 400 m über das Hauptsignal hinaus erfolgen muss." Das heißt also, weil sowieso 400 m auf Sicht gefahren werden muss, darf der Haltfallverhinderungsabschnitt 400 m lang sein.
Ich hatte es bisher so verstanden (konnte dafür aber keine Quelle finden) dass noch 400 m auf Sicht gefahren werden muss, weil der Haltfallverhinderungsabschnitt 400 m lang sein kann.
Hier stehe ich also vor dem Henne-Ei-Problem. Was war zuerst, der 400 m lange Haltfallverhinderungsabschnitt oder die 400-m-Regel?

Lonestarr
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Re: Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

#123 Beitrag von Lonestarr »

Nach meiner Erinnerung geht die 400 m- Regel auf etwas anderes zurück. Es gibt wohl (noch) Altanlagen, bei denen die Streckengleisfreimeldeanlage auf Höhe des Einfahrsignals endet und die Bahnhofsgleisfreimeldeanlage beginnt erst am Gefahrpunkt. Der Gefahrpunktabschnitt selbst ist also technisch nicht abgedeckt und der kann eben bis zu 400 m lang sein. Das war mal im seinerzeitigen Deine Bahn- Forum Thema. Das wurde aber später ausgeknipst, weil sich da ein Fachautor anscheinend um Kopf und Kragen geschrieben hat.

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Achim Adams
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Re: Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

#124 Beitrag von Achim Adams »

Ich hab jetzt auch keine Quelle dazu, wir haben das im RFU mal ausführlich besprochen. Tenor war, dass der besagte Haltfallabschnitt bis 250m hinter dem Esig liegen kann. Es wird dann nochmal ein Sicherheitszuschlag gegeben, und so kommt man auf die 400m. Sinngemäß wurde das auch im "Deine-Bahn"-Forum so erklärt.

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F. Schn.
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Re: Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

#125 Beitrag von F. Schn. »

Lonestarr hat geschrieben: 07.09.2023 12:03:41 Es gibt wohl (noch) Altanlagen, bei denen die Streckengleisfreimeldeanlage auf Höhe des Einfahrsignals endet und die Bahnhofsgleisfreimeldeanlage beginnt erst am Gefahrpunkt.
Also ich glaube, dass wenn es solche Stellwerke geben würde, ich davon wüsste. Der Regelfall bei der (immer recht sparwütigen) Bundesbahn war anfangs und lange Zeit folgender: Die Gleisfreimeldeanlage endet am Ende des Gefahrpunktabstandes, mindestens 200 m hinter dem Einfahrsignal mit einem Isolierstoß. Das heißt die vorherige Gleisfeimeldung bildet einen Abschnitt der freien Strecke, die dahinter liegende den der ersten Weiche. Sie schließen plan aneinander an und können technisch nicht überlappen. Wenn die Lst den Abschnitt etwas weiter hinten legen wollte, brauchte sie natürlich etwas Spielraum. Die Trennung lag also zwischen 200 und 400 m hinter dem Esig. Bereits ein 3-Wagen-D-Zug hat etwa 100 m. Wenn sich so ein Zug jetzt hinter dem Signal befindet, verschwindet er nicht, aber er wird so angezeigt, als wäre er vor dem Signal. Daraus könnte sich folgende Situation ergeben: Der nachfolgende Zug würde also im leeren Blockabschnitt auf Sicht fahren und dann ab dem Signal 400 m beschleunigen, bevor er dann doch auf den Zug knallt, der hinter dem Signal liegen geblieben ist, und nur so aussah, als wäre er vor dem Signal liegen geblieben. Mit anderen Worten: Die Regelungen zum Fahren auf Sicht würden ins leere laufen.

Für mich scheint es so, als würde man mit dem Wording "Verschwinden" diese Situation meinen. Mir wäre kein Stellwerk bekannt, das dort wirkliche echte Löcher in der Gleisfreimeldung hat. (Ausgenommen die GlFrM ist ohnehin nur punktuell.)

Exkurs: Später hat man dann angefangen, auf der freien Strecke vermehrt Achszähler einzusetzen. Das bedingt, dass man die isolierte Schiene dann nicht mehr zur Datenübertragung nutzen konnte und einige zusätzliche Kabel ziehen musste. Im Gegensatz dazu musste man die Schiene dann aber nicht mehr isolieren und hat keine Isolierstörungen mehr (sondern nur noch Zählstörungen). Der Bahnhof blieb jedoch im Regelfall bei Isolierten Gleisen. Somit hatte man einen Punkt, bei dem von Achszählern auf Gleisstromkreise gewechselt wurde. Und dann hat man nach ein paar Jahren angefangen, den Achszählerabschnitt und den Gleisstromabschnitt überlappend zu bauen. Also Achszähler-Ende am Gefahrpunktabstand, Isolierstoß am Esig. Das war dann Jahre lang der neue Stand der Technik für die Bundesbahn. Bis man dann heute nur Achszähler einsetzt.

(Und das alles natürlich unter dem Disclaimer, dass man aus diesem Text selbstverständlich keine Schlüsse ziehen darf, auf die dieser Text nicht ausgelegt ist. Z.B. hat es natürlich die Bundesbahn auch geschafft, gigantische Ein- und Gegengleiseinfahrlöcher bei Bahnhöfen zu schaffen, die schon sehr früh ausschließlich Achszähler hatten.)

(Edit-PS: Exkurs II: Und jetzt ratet mal, wie man in der DDR das Problem gelöst hat. Das Charakterisiert nämlich die unterschiedlichen Denkweisen ganz gut.)
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Nachzugler
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Re: Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

#126 Beitrag von Nachzugler »

Lonestarr hat geschrieben: 07.09.2023 12:03:41 Nach meiner Erinnerung geht die 400 m- Regel auf etwas anderes zurück. Es gibt wohl (noch) Altanlagen, bei denen die Streckengleisfreimeldeanlage auf Höhe des Einfahrsignals endet und die Bahnhofsgleisfreimeldeanlage beginnt erst am Gefahrpunkt. Der Gefahrpunktabschnitt selbst ist also technisch nicht abgedeckt und der kann eben bis zu 400 m lang sein.
Also wäre die Kausalitätskette unüberwachter Abschnitt -> 400-m-Regel -> 400 m lange Haltfallverhinderungsabschnitte ?
Achim Adams hat geschrieben: 07.09.2023 16:25:53 Tenor war, dass der besagte Haltfallabschnitt bis 250m hinter dem Esig liegen kann. Es wird dann nochmal ein Sicherheitszuschlag gegeben, und so kommt man auf die 400m.
Bei Wikipedia steht es ja genau andersrum. Da steht, dass der Haltfallabschnitt weit hinter dem Signal liegen kann, weil es die 400-m-Regel gibt. Liegt Wikipedia falsch?
Oder sind Haltfallabschnitt und Haltfallverhinderungsabschnitt unterschiedliche Dinge?
F. Schn. hat geschrieben: 07.09.2023 18:01:06 Wenn sich so ein Zug jetzt hinter dem Signal befindet, verschwindet er nicht, aber er wird so angezeigt, als wäre er vor dem Signal. Daraus könnte sich folgende Situation ergeben: Der nachfolgende Zug würde also im leeren Blockabschnitt auf Sicht fahren und dann ab dem Signal 400 m beschleunigen, bevor er dann doch auf den Zug knallt, der hinter dem Signal liegen geblieben ist, und nur so aussah, als wäre er vor dem Signal liegen geblieben.
Und noch eine weitere Erklärung.

Vielleicht sollte sich mal jemand mit der Geschichte des Regelwerks beschäftigen. Das wäre doch mal ein super Promotionsthema. :D

Lonestarr
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Re: Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

#127 Beitrag von Lonestarr »

F. Schn. hat geschrieben: 07.09.2023 18:01:06 Bereits ein 3-Wagen-D-Zug hat etwa 100 m. Wenn sich so ein Zug jetzt hinter dem Signal befindet, verschwindet er nicht, aber er wird so angezeigt, als wäre er vor dem Signal. Daraus könnte sich folgende Situation ergeben: Der nachfolgende Zug würde also im leeren Blockabschnitt auf Sicht fahren und dann ab dem Signal 400 m beschleunigen, bevor er dann doch auf den Zug knallt, der hinter dem Signal liegen geblieben ist, und nur so aussah, als wäre er vor dem Signal liegen geblieben. Mit anderen Worten: Die Regelungen zum Fahren auf Sicht würden ins leere laufen.

Für mich scheint es so, als würde man mit dem Wording "Verschwinden" diese Situation meinen. Mir wäre kein Stellwerk bekannt, das dort wirkliche echte Löcher in der Gleisfreimeldung hat. (Ausgenommen die GlFrM ist ohnehin nur punktuell.)
Oder so. Wie gesagt, das stand im Deine-Bahn- Forum und es ist Jahre her, daß man das nachlesen konnte. Daß es aber was mit der Situation zwischen Einfahrsignal und Gefahrpunkt zu tun hat, bin ich mir relativ sicher.
Nachzugler hat geschrieben: 08.09.2023 08:53:16 Oder sind Haltfallabschnitt und Haltfallverhinderungsabschnitt unterschiedliche Dinge?
Ja, das sind zwei verschiedene Dinge. Um mal bei der hier diskutierten Situation zu bleiben:

Fall A: Der Freimeldeabschnitt der freien Strecke geht bis zum Gefahrpunkt und dort beginnt die Bahnhofsfreimeldeanlage mit ihrem ersten Abschnitt. Dann ist dieser erste Abschnitt der Haltfallabschnitt und es gibt keinen Haltfallverhinderungsabschnitt.

Fall B: Der Freimeldeabschnitt der freien Strecke geht bis zum Gefahrpunkt, aber der erste Freimeldeabschnitt der Bahnhofsfreimeldeanlage beginnt bereits am Einfahrsignal und geht ebenfalls bis zum Gefahrpunkt, wo dann der zweite Abschnitt der Bahnhofsfreimeldeanlage beginnt. Normalerweise würde das Einfahrsignal auf Halt fallen, sobald der erste Abschnitt der Bahnhofsfreimeldeanlage belegt wird. Das darf aber nicht sein, weil sonst die PZB zuschlägt. Also wird hier der Haltfall verhindert und dieser tritt erst mit Belegung des zweiten Abschnitts ein.

Gruß Thomas

Maddin25
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Re: Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

#128 Beitrag von Maddin25 »

F. Schn. hat geschrieben: 07.09.2023 18:01:06 Für mich scheint es so, als würde man mit dem Wording "Verschwinden" diese Situation meinen. Mir wäre kein Stellwerk bekannt, das dort wirkliche echte Löcher in der Gleisfreimeldung hat. (Ausgenommen die GlFrM ist ohnehin nur punktuell.)
Das berühmt berüchtigte "Einfahrloch"

Da wollte ein Fdl mit mir auch schon diskutieren, nachdem ich eine Zwangse am Esig hatte..."du stehst bei mir aber noch davor?!"
Gruß
Martin

Nachzugler
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Re: Diverse nichttechnische Fragen zur echten Bahn

#129 Beitrag von Nachzugler »

Lonestarr hat geschrieben: 11.09.2023 17:39:17 Ja, das sind zwei verschiedene Dinge.
Danke für die ausfürhliche Erklärung.

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