Österreichisches Signalbuch (II)

Fragen der echten Bahntechnik, Lokbedienung, PZB usw.
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willweg
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Österreichisches Signalbuch (II)

#1 Beitrag von willweg »

Hallo!

Eine Frage hätte ich doch noch, nämlich was ist der Unterschied zwischen dem Signal VORSICHT ohne und mit weißem Rand?

Dank td1 habe ich das wirkliche Signalbuch gefunden (DV 30.02) - nochmals herzlichen Dank - aber ich werde daraus hinsichtlich des VORSICHT Signals nicht wirklich schlau. Konkret:

(1) Warum gibt es diese beiden Varianten? Auf Neuhochdeutsch: was ist der use case? Was ist der Sinn dahinter oder warum braucht man zwei Varianten? Warum kann man nicht alles in eine Variante "packen"?

(2) VORSICHT ohne weißem Rand enthält Bedeutungen für zu erwartende HS und zusätzlich für zu erwartende ZS/AS. Soweit so verständlich. Allerdings ist die Bedeutung der Variation mit weißem Rand eher kryptisch, denn es kündigt nur zusätzlich etwas an, nämlich FAHRVERBOT oder einen reduzierenden GESCHWINDIGKEITSANZEIGER, erklärt aber nicht, was die Basis für diesen Zusatz ist. Zusätzlich zu was? Dankbar wäre:
  • Zusätzlich zu allem was die Variante ohne weißem Rand schon beschreibt, also der ganze Absatz (2), der sich auf HS und zusätzlich auch auf ZS/AS bezieht, plus der ganze Absatz (3), der sich wiederum zusätzlich auf ZS/AS; oder
  • zusätzlich "nur" zum "HS" Teil der Variante ohne weißem Rand, also nur der erste Teil von Absatz (2), der sich auf die HS bezieht, und der ganze Absatz (3), der sich zusätzlich auf ZS/AS bezieht?
(3) Welche Variante des Signals trifft man im österreichischen Schienennetz öfter an?

(4) Wie signalisieren das alles die Deutschen, die ja kein Pendant zum Signal VORSICHT haben, soweit ich das sehen kann. Den Teil mit dem Geschwindigkeitsanzeiger verstehe ich, aber den Rest? Gilt Vr0 auch für Schutzsignale, Sperrsignale oder Fahrwegende?

Besten Dank im voraus!
Will

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td1
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Re: Österreichisches Signalbuch (II)

#2 Beitrag von td1 »

Hallo,

nach meinem Verständnis kündigt das Signal "Vorsicht" mit weißem Rand ein Schutzsignal oder einen Geschwindigkeitsanzeiger (GA) im
anschließenden Weichenbereich an, wenn die zulässige Geschwindigkeit am Vorsignal mehr als 40 km/h beträgt. In diesem Fall wird der GA am Standort eines auf Bremsweglänge aufgestellten Schutzsignals nicht mit Geschwindigkeitsvoranzeiger (GVA) angekündigt.

lg, td

willweg
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Re: Österreichisches Signalbuch (II)

#3 Beitrag von willweg »

Danke, td. Das würd ich auch so sehen, wenn das Wort "zusätzlich" nicht wäre.

pchris
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Re: Österreichisches Signalbuch (II)

#4 Beitrag von pchris »

So war es in früheren Ausgaben der Vorschrift, damals unter dem Namen V2 Signalvorschrift, definiert.
§ 5 Allgemeine Bestimmungen, (5) Zusätzliche Bedeutung, V2 Signalvorschrift, Ausgabe 1996 - Stand 2003-07-01

Ausfahr- und Zwischenvorsignale können in der Stellung "Vorsicht" auch ein haltzeigendes Schutzsignal oder einen Geschwindigkeitsanzeiger mit Herabsetzung der Geschwindigkeit ankündigen.

Gestattet diesfalls das Hauptsignal am Standort eines solchen Vorsignals die Fahrt mit einem Geschwindigkeitsbegriff von mehr als 40 km/h, ist das Signalschild dieses Vorsignals weiß umrandet.
Der Unterschied besteht also in der zulässigen Geschwindigkeit am Standort des Vorsignals für die Bedeutung des Signals -VORSICHT- für die anzukündigenden Signale -FAHRVERBOT- und -GESCHWINDIGKEITSANZEIGER-. Die anderen Bedeutungen (-HALT-, -GESCHWINDIGKEITSANZEIGER- mit Kennziffer 2, -FAHRWEGENDE- und Sperrsignal am Stumpfgleisabschluss) gelten auch für Vorsignale mit weißem Rand.


Zur Frage (1): Diese Kennzeichnung wird mit den Schutzsignalen aufgekommen sein. Die Schutzsignale erhielten jedenfalls ab 1962 einen weißen Rand. Das Anhalten vor einem Schutzsignal, das -Fahrverbot- zeigt, wird mit der Vorsichtsstellung des Vorsignals angekündigt. Und so wird man wohl auch Vorsignale entsprechend mit weißem Rand versehen haben.

Zur Frage (3): Die Standardausführung ist das Vorsignal ohne weißen Rand.

willweg
Beiträge: 50
Registriert: 09.05.2022 14:21:20

Re: Österreichisches Signalbuch (II)

#5 Beitrag von willweg »

Vielen Dank, pchris! Ich habe Deine Nachricht erst jetzt entdeckt. Ich habe die Hoffung auf mehr Antworten zu dieser doch recht speziellen Frage recht bald aufgegeben und damit diesen thread nicht mehr weiter verfolgt.

Wenn ich Deine Antwort richtig verstanden habe, dann ist die Signalbedeutung der beiden Varianten von - VORSICHT - identisch, jedoch zeigt die Variante mit dem weißen Rand nur für die Bedeutung von FAHRVERBOT und GESCHWINDIGKEITSANZEIGER - an, dass die zulässigen Geschwindigkeit am Standort des VS eine höhere ist. Dann ist wohl der Zweck dieses Signals, dass der Tfzf bei Ansicht dieses Signals weiß, dass er zumindest für diese beiden Signalbedeutungen stärker in die Bremsen zu greifen als beim Signal ohne weißen Rand.

Wenn dem so ist, dann ist mir die Signalbedeutung jetzt klar - herzlichen Dank! - aber zwei weitere Fragen tun sich auf:

Erstens, warum gilt das nur für diese 2 von 6 möglichen Signalbedeutungen? Wäre es nicht genauso wichtig für alle anderen Signalbedeutungen, wo das Fahrzeug zum Stillstand zu bringen ist, wie für HALT, FAHRWEGENDE oder vorm Sperrsignal? Was ist an FAHRVERBOT und GESCHWINDIGKEITSANZEIGER so besonders, als dass sie ein eigenes Signal brauchen, während es für HALT mindestens genauso wichtig wäre? Wäre es nicht logischer, dass das Signal mit weißem Rand anzeigt, dass am Standort des VS eine höhere zulässige Geschwindigkeit als 40kmh gilt und dass daher der Tfzf für alle 6 Signalbedeutungen stärker in die Bremsen zu greifen haben wird? Also, dass die Variante des Signals VORSICHT ohne weißen Rand für geringe Geschwindigkeiten am Signal gilt, während die Variante mit weißem Rand für höhere Geschwindigkeiten am Signal gilt?

Zweitens, wenn man bei den 2 Signalbedeutungen bleibt, wäre es nicht präziser im Signalbuch zu sagen, dass die besondere Bedeutung des Signales mit weißem Rand nicht "zusätzlich" sondern "abweichend" gilt? Müsste der Text nicht lauten: "Bei Zwischen- und Ausfahrvorsignalen kündigt das Signal – VORSICHT – mit weißem Rand bei zulässigen Geschwindigkeiten über 40 km/h am Standort des Vorsignals abweichend vom Signal - VORSICHT - ohne weißem Rand an, dass...".

Drittens, ist es nicht irgendwie systemwidrig, dass ein VS eine Geschwindigkeitsbeschränkung für ein HS vorgibt? Denn ein HS vor oder am Standort des Signals VORSICHT ohne weißem Rand darf ja nie mehr als 40km zeigen. Sollte es nicht umgekehrt sein?

Versteh ich das jetzt richtig oder gibts da eh nix zu verstehen, denn das ist einfach historisch so gewachsen?

Besten Dank im voraus!

Will

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Ronny
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Re: Österreichisches Signalbuch (II)

#6 Beitrag von Ronny »

Lösen wir es mal auf. Zum besseren Verständnis fangen wir hinten an.
willweg hat geschrieben: 07.11.2022 16:24:16 (4) […] die Deutschen, die ja kein Pendant zum Signal VORSICHT haben […]
Doch, die Signale Ks 2 und Vr 0 entsprechen ziemlich exakt dem Signal Vorsicht: Es kann ein Haupt- oder Sperrsignal in Haltstellung oder ein Gleisabschluß (Signal Sh 2) folgen. Im deutschen Signalbuch wird darauf nur nicht so dateilliert eingegangen, denn allen ist eins gemeinsam: Es ist am Ende der Fahrstraße anzuhalten.

Auch ein einzeln stehender Geschwindigkeitsanzeiger kann bereits vor dem nächsten Hauptsignal folgen. Da der Geschwindigkeitsanzeiger mit Kennzahl* 2 und 3 angekündet wird durch einen Geschwindigkeitsvoranzeiger mit Kennzahl* 2 bzw. 3, ist es nicht Aufgabe des Signals Ks 2 bzw. Vr 0, auf den zu erwartenden Geschwindigkeitsanzeiger aufmerksam zu machen. Daher wird bei den Signalen Ks 2 und Vr 0 nicht gesondert darauf hingewiesen. Das ist der Unterschied zum Signal Vorsicht (na gut, und das Signal Vorsicht kann auch rückstrahlend sein, statt zu leuchten).

* Ich habe hier absichtlich „Kennzahl“ statt „Kennziffer“ geschrieben. In der Eisenbahn-Signalordnung, und dementsprechend auch im Signalbuch, wird der Begriff „Kennziffer“ verwendet. Das ist aber falsch: Eine Ziffer ist ein einzelnes Zeichen, so wie ein Buchstabe. Eine Zahl kann aus einer oder mehreren Ziffern bestehen, so wie ein Wort aus einem oder mehreren Buchstaben bestehen kann. Wird am Geschwindigkeitsanzeiger bspw. „10“ angezeigt, handelt es sich um eine Zahl, die aus zwei Ziffern besteht. Unverständlich, daß dem deutschen Amtsschimmel seinerzeit ein derartiger Fehler unterlaufen ist. – Und dieser bis heute nicht korrigiert wurde.


willweg hat geschrieben: 07.11.2022 16:24:16Wie signalisieren das alles die Deutschen[…]?
Je nach Fahrweg und vorhandenem Bremsweg wird unterschiiedlich signalisiert. Ist der volle Bremsweg vorhanden, erfolgt regulär keine besondere Signalisierung, außer wenn es sich um ein Stumpfgleis handelt (dann mit Geschwindigkeitsanzeiger bzw. mit Stumpfgleis- und Frühhaltanzeiger). Ist der Bremsweg verkürzt, dann wird mit Zusatzlicht und ggf. Geschwindigkeitsanzeiger gearbeitet. Bei Kurzeinfahrten kann an Ks-Signalen auch zusätzlich der Stumpfgleis- und Frühhaltanzeiger erscheinen. In Österreich gibt es weder das Zusatzlicht noch den Stumpfgleis- und Frühhaltanzeiger. Dort werden Signale auch nicht so exzessiv wie in Deutschland im verkürzten Bremsweg aufgestellt. Der „normale“ verkürzte Bremsweg, also wenn bspw. ein Vorsigbal nur 800 Meter statt 1000 Meter vor dem zugehörigen Hauptsignal aufgestellt ist, wird in Österreich nicht signalisiert.


willweg hat geschrieben: 26.12.2022 15:47:10Erstens, warum gilt das nur für diese 2 von 6 möglichen Signalbedeutungen?
Das trifft halt nicht zu auf Hauptsignale, Signal Fahrwegende und Stumpfgleisabschlüsse, weil die nicht „mal eben mittendrin“ stehen. Deren Abstand kann zwar auch verkürzt sein, aber der verkürzte Bremsweg wird wie erwähnt nicht signalisiert, sondern nur das „Mittendrin“.

Auf das Signal Vorsicht – und zwar mit oder ohne weißen Rand! – kann bspw. ein Hauptsignal auf Bremsweglänge folgen oder bereits vorher ein Schutzsignal, z. B. in Bahnsteigmitte. Es ist aber ein Unterschied, ob der Zug auf dieses Schutzsignal nur mit 40 km/h zufährt, oder ob er mit 160 km/h angeprügelt kommt. Für die Fälle bis 40 km/h hat man offenbar entschieden, daß der Anhalteweg ausreicht, wenn der Lokführer erkennt, daß er gar nicht bis zum Hauptsignal am Bahnsteigende fahren darf, sondern nur bis zum Schutzsignal in Bahnsteigmitte. Bei einer Geschwindigkeit über 40 km/h reicht der Anhalteweg vom Erkennen des Schutzsignals womöglich nicht aus. Gleiches gilt für den Geschwindigkeitsanzeiger, der bereits im Weichenbereich lange vor dem folgenden Hauptsignal steht. Deshalb wird der Lokführer durch den weißen Rand des Signalschildes gewarnt: „Hier darfst Du zwar schnell fahren, richte Dich aber darauf ein, daß Du bereits früher als am nächsten Hauptsignal anhalten bzw. die Geschwindigkeit verringern mußt!“


willweg hat geschrieben: 26.12.2022 15:47:10[…] wäre es nicht präziser im Signalbuch zu sagen, dass die besondere Bedeutung des Signales mit weißem Rand nicht "zusätzlich" sondern "abweichend" gilt?
Nein, denn „abweichend“ heißt, es handelt sich um einen Gegensatz. „Zusätzlich“ bedeutet, es kommt etwas hinzu. – Genau das ist hier der Fall: Das Signal Vorsicht mit weißem Rand hat erst einmal dieselbe Bedeutung wie das Signal Vorsicht ohne weißen Rand. Und zusätzlich kommen beim Signal Vorsicht mit weißem Rand noch die zwei Bedeutungen der rechten Seitenhälfte hinzu. Die auf der linken Seitenhälfte abgedruckten Bedeutungen gelten auch für das Signal Vorsicht mit weißem Rand. Das gilt auch für die beiden Aussagen „am Standort des Vorsignal höchstens 40 km/h“, denn es kann ja sein, daß der Zug mal nicht in das durchgehende Hauptgleis fährt, sondern mit 40 km/h in die Ablenkung.


willweg hat geschrieben: 26.12.2022 15:47:10Drittens, ist es nicht irgendwie systemwidrig, dass ein VS eine Geschwindigkeitsbeschränkung für ein HS vorgibt? Denn ein HS vor oder am Standort des Signals VORSICHT ohne weißem Rand darf ja nie mehr als 40km zeigen. Sollte es nicht umgekehrt sein?
Es ist ja genau umgekehrt: Der weiße Rand ist dort, weil das Hauptsignal an diesem Standort mehr als 40 km/h zulassen kann. Der weiße Rand gibt keine Geschwindigkeit vor, sondern er resultiert aus einer Geschwindigkeit. Beispiel Einfahrsignal mit Ausfahrvorsignal:
  • Bei Bahnhof A beträgt die Geschwindigkeit am Einfahrsignal nie mehr als 40 km/h. Daher ist die Geschwindigkeit des Zuges immer so groß (oder besser gesagt „klein“), daß der Anhalteweg ausreicht, wenn der Lokführer Halt am Schutzsignal in Bahnsteigmitte erkennt. Kein weißer Rand am Signalschild des Ausfahrvorsignals erforderlich.
  • Bei Bahnhof B beträgt die Geschwindigkeit am Einfahrsignal 120 km/h. Denkt der Lokführer bei seiner Bremsung nicht an das Schutzsignal in Bahnsteigmitte, ist es womöglich zu spät, wenn er Halt am Schutzsignal in Bahnsteigmitte erkennt. Daher erinnert ihn der weiße Rand des Signalschildes an den möglichen Frühhalt.

Das hat schon alles seinen Sinn. Es ist nur nicht so aufgeschrieben, daß man es unbedingt ohne Erklärung versteht. Da das Signalbuch aber kein Lehrbuch ist, muß es das auch nicht. Denn dafür erhalten die Mitarbeiter eine Ausbildung. Dennoch: Bis zur letzten Ausgabe (noch unter dem Namen „Signalvorschrift“) war die Formulierung in § 5 (5), wie sie Chris zitiert hat, glücklicher gewählt.

willweg
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Re: Österreichisches Signalbuch (II)

#7 Beitrag von willweg »

Wow. Viel zu verdauen, aber jetzt werde ich es hoffentlich auch kapieren.
Besten Dank, Ronny, für die ausführliche Antwort :applaus :applaus :applaus

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