Bremsen in Unterricht und Praxis

Fragen der echten Bahntechnik, Lokbedienung, PZB usw.
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Andreas Hänsch
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Re: Bremsen in Unterricht und Praxis

#81 Beitrag von Andreas Hänsch »

Ich war lange nicht mehr hier. Aber was ich jetzt gelesen habe, da achte ich, ich bin im falschen Film. Ich bin kein Eisenbahner, habe mich aber mit der Bremse ausgibig beschäftigt.

Ich bin vor Corona als Ehrenlokführer mit Knor 8 und KE-Ventilen gefahren. Habe ich zu Anfang auf einen gewöhnlichen Halt die Bremse komplett ausgelöst, kam vom Ausbilder der Spruch: "Jetzt fühlt sich die Bremse verarscht. Bremsen bis zum Stillstand." Heißt, ich sollte im Knorr 8 auf der Bremsstellung bleiben, bis zum Stillstand. Genauso konnte man bei der ersten Bremsung nie 4,8, wenn man es überhaupt an den Manometern ablesen kann, einstellen. Maximal ging 4,7. Dazu ist bei allen Bremsen der Eisenbahn alles knapp unter 5 Bar ein verbotener Bereich. Der Zug stand im Winter komplett gelöst am Bahnsteig. In der HLL waren schon unter 4,5 Bar. Aber alle Bremsen blieben gelöst. Bei einer Betriebsbremsung von mir testweise ausgeführt, kam nur die Lok mit ihrer einlösigen Bremse. Die Wagen nicht.

Wenn man sich mit dem KE-Ventil beschäftigt, wird auch klar warum 4,8 Bar in der Leitung nicht geht. Ist das Ventil in Lösestellung, wird beim Ansprechen des Ventils automatisch Luft abgelassen, bis 4,6 oder 4,7 Bar in der Leitung sind. Genauso, wenn erst gelöst wurde und noch Druck im Bremszylinder ist, hilft das KE-Ventil bei der ersten Bremsung nicht mit.

Das eine Bremsprobe mit 4,8 Bar gemacht werden soll, wenn diese mit mit dem Fbv gemacht wird, welches während der Fahrt bedient wird, habe ich mehrfach in älterer Literatur gelesen. Damals gab es beim Knorr 8 keine einfache Möglichkeit anzugleichen. Bremsprobe voll mit 4,8 Bar. Dann mit dem anderen Fbv noch eine vereinfachte Bremsprobe mit Regelleitungsdruck und nichts ist überladen.

Jörg Haase
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Re: Bremsen in Unterricht und Praxis

#82 Beitrag von Jörg Haase »

Guten Tag,

Natürlich werden Klotzgebremste Züge kurz vor dem Halt angemessen gelöst. Der Reibwert der Bremsklötze nimmt mit fallender Geschwindigkeit zu und durch das Lösen wird der Anhalteruck aufgefangen. Wer das nicht richtig gemacht hat bekam zu meiner Zeit vom Amtslehrführer eine Sonderunterweisung. "Kollege das üben wir aber nochmal, die Reisenden haben sich gerade zu deinen Ehren verneigt". Der Anhalteruck war bei den 300 er Sohlen der Bm Wagen schon heftig.
Die erste Drucksenkung in der HL soll bei mehrlösigen, sowie einlösigen Bremsen nie weniger als 0,4 bar betragen.
Damit wird gewährleistet das alle Steuerventile im Zugverband stabil in die Bremsstellung wechseln. Gerade bei einlösigen Bremsen galt aber der Merksatz
" 1 bar raus". Die einlösigen Steuerventile sind fast alle Schiebergesteuert und können mit zunehmender Betriebszeit träge werden. Das führt dazu das die Steuerventile auf kleine Drucksenkungen in der HL nicht mehr reagieren.
Mit den Drehschieberführerbremsventilen ist es möglich kleine Drucksenkungen in der HL zu realisieren, es macht aber keinen Sinn.
Auch ist das Angleichen mit dem Knorr Nr.8 kein Problem. In der Praxis lassen sich Überladungen der HL bis 7 bar mit viel Geduld abbauen.
Das ist von mir gelebte Praxis an einem 700 Meter Güterzug, bespannt mit einer Baureihe 140 und Drehschieber. Der Lokführer hatte das Führerbremsventil aus versehen in der Füllstellung belassen und damit die HL grandios überladen. Die Alternative wäre das abziehen der A-Kammer gewesen und ein strammer Marsch. Dazu ist der Schnelldruckregler auf 7 bar einzustellen und um 0,1 bar pro Minute zu senken. Das geht natürlich nur bei der Bremsprobe und Stillstand des Zuges. Im Betrieb sind aber Überladungen bis 5,3 bar ohne Probleme zu beseitigen. Es hat zwar 20 Minuten gedauert, aber funktioniert. Es ist ohne Zweifel bequemer auf dem Führerstand langsam den Schnelldruckregler zu drehen, als 1400 Meter zusätzlich zu laufen.

Fällt der HL Druck bei abgestellten Zügen um 0,1 bar pro Minute so schlafen die Bremsen ein. Ein Zug muss unter Druckerhalt stehen damit die Bremsen Betriebsbereit bleiben.
Bei Bremsproben mt ortsfesten Anlagen (PDR1) vom Wagenmeister wurde früher grundsätzlich die HL nur mit 4,8 bar gefüllt. Diese Regel stellte sicher, dass bei der Bespannung mit der Zuglokomotive und der erforderlichen vereinfachten Bremsprobe alle Bremsen im Zug lösten.
Die Funktionsweise der Führerbremsventile lässt sich plausibel nur mit Sicht auf den Partner Steuerventil erklären. Das ist sehr umfangreich und benötigt ein erhebliches Maß an Ausbildungszeit. Leider ist dies nicht mehr gewollt und daher fehlen den jungen Kollegen sehr oft die Grundlagen die einzelnen Vorgänge zu verstehen. Die Bremstechnik der Eisenbahn ist ein komplexes und sehr weites Fachgebiet in das keiner einfach einsteigen kann. Ich bin 40 Jahre in diesem Thema unterwegs und lerne immer noch Tag für Tag dazu.

Jörg Haase

Andreas Hänsch
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Re: Bremsen in Unterricht und Praxis

#83 Beitrag von Andreas Hänsch »

Habe ich zu Anfang auf einen gewöhnlichen Halt die Bremse komplett ausgelöst, kam vom Ausbilder der Spruch: "Jetzt fühlt sich die Bremse verarscht. Bremsen bis zum Stillstand." Heißt, ich sollte im Knorr 8 auf der Bremsstellung bleiben, bis zum Stillstand.
Ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich habe bei relativ hoher Geschwindigkeit am Bahnsteig komplett ausgelöst, umd dann zum Halten wieder einzubremsen. Da passierte aber nichts. Es kam keine Bremswirkung an. Ich bin dann später bei so einer Situation bei 4,8 in der Leitung geblieben, die Bremsen schliffen leicht und bremste dann wieder normal ein. Natürlich war es das höchste der Gefühle, wenn man wirklich gelöst und ohne Ruck zum Stehen kommt. Oder später dann mit den ganzen Zug auf Plus Minus 50cm am Wasserkran stand.

Durch das Thema kamen auch die Erinnerungen hoch. ich bin als verrückter Fan zum Fahren hin. Ich wusste praktisch besser als manch Betriebsbahner wie die Bremsen funktionieren. Ich wusste auch von Zusi wie es sich ungefähr anfühlt. Die Bedienung musste nicht erklärt werden. Wir fuhren auch als Sicherheit mit Kette am Ackermann Notventil, dass der Ausbilder jederzeit per Schnellbremsung den Zug zum Stehen bekommt. So gab es zu Beginn die Kommandos:
"Bremsstufe"; "Noch eine"; "Lok weg"; "Lösestufe"; "Lösen"

Jeder Tf hatte seine Kommandos. Auch wurden die absichtlich mit der Zeit immer weniger. Bis zu einem Zeitpunkt wo ich mich selbst durchwurschteln musste. Gesagt wurde dann nur noch was, wenn gar nichts mehr ging oder im Gefahrenfall.

Man fährt auf dem Halt zu. Im Hinterkopf, der Zug ist kein Auto, bremst schlecht. Natürlich die erste Bremsstufe viel zu früh. Aber es passiert nichts! Noch eine Bremsstufe. Inzwischen wirkte die erste langsam. Der Gedanke, es reicht nicht. Noch eine Bremsstufe. Inzwischen wirkte auch die Zweite. Das ist zu viel! Lösen! Der Zug stand dann viel zu früh. Das waren meine ersten Versuche, ohne Kommandos. Dann wurde ich sicherer und rauschte auch in die Bahnhöfe rein. Am meisten Spaß machte es, wenn man Verspätung hatte. Das war meine Erfahrung Thema Bremse.

Am Anfang war ich verzweifelt. In einer Kneipe traf ich auf einen Tf. Er fuhr Weißwurscht, sprich ICE. Wir kamen ins Gespräch. Ich bin ja bei der Schmalspur gefahren. Er sagte mir was, was mir sehr geholfen hat. Wenn er mit 80 an einen Bahnsteig ranfährt, hat er noch alle Möglichkeiten, Fehler zu korrigieren. Wenn ich mit 20 max 30 ankomme, kann jeder noch so kleiner Fehler nicht mehr zu korrigieren sein. Langsamer ankommen ist schwerer als wenn man schneller reinfährt. Das half mir in dem Fall, weil ich es nicht mehr so zu Herzen nahm.

Inzwischen war ich auch mal bei DB Training und fuhr dort im Simulator. Ich kam auch da sehr gut zurecht. Es gab ein paar kleine Schnitzer. Den Ausbilder dort kannte ich. Er meinte nur, er erwartet von mir als Außenstehnden nicht, dass ich alles weiß. Aber ich hätte im Gegensatz zu manch anderen Tf im Sim, keinen einzigen sicherheitsrelevanten Fehler gemacht. Ich konnte mich immer geschickt durchmogeln.

2019 hatte ich eine Situation, an der ich extrem zu knabbern hatte. Ich fahre wieder auf der Schmalspur. Es ging den Berg runter. Wir hatten es auch wieder eilig. Ist ja schön so zu fahren. In der Leitung wirkte die zweite Bremsstufe 4,5 Bar, die Lok war ausgelöst, der Zug in Beharrung. Es läuft am Bahndamm Richtung Bü eine Person. Dort war Pfeifen und Läuten Pflicht. Ich riss die Pfeife durch. Nur keine Reaktion von der Person. Als diese dann am Bü abbog, zog ich durch. Wenn die Person nicht gestoppt hätte, hätte ich die mitgenommen. Ich sehe heute noch die blauen Ohrhörer und sein erschrockenes Gesicht. Der Heizer hat nichts mitbekommen. Der Stammlokführer brüllte nur: "Haben wir ihn erwischt?" Und ich am Fenster in der ersten Reihe. Das Gefühl nichts tun zu können. Wann kommt der blöde Zug zum Stehen? Und immer wieder zum Fbv gesehen. Das lag in Schnellbremsstellung. DIe Zusatzbremse auf Abschluss. Es zischte auch nichts mehr. Aber der verdammte Zug rollt noch. Die Fachkraft im Speisewagen, sah auch alles. Der Wagen lief als Vorletzter mit. Sie brüllte durch den Zug, dass sich alle festhalten sollen, gleich ruckt es.

Ergebnis. Kein Personenschaden. Den Speisewagen habe ich umdekoriert. Aber auch da ging nichts zu Bruch. Und im Packwagen habe ich ein Kühlaggregat zerstört. Und mehrere Lobe, weil ich so schnell reagiert hatte. Ich hatte die Schnellbremsung schon eingeleitet, da hat das Stammpersonal noch nicht mal die Gefahr erkannt.

Das sind meine Erlebnisse, Bremsen lernen in der Praxis. Unterricht hatte ich nicht. Habe mir alles selbst beigebracht.

didig
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Re: Bremsen in Unterricht und Praxis

#84 Beitrag von didig »

Das ist von mir gelebte Praxis an einem 700 Meter Güterzug, bespannt mit einer Baureihe 140 und Drehschieber. Der Lokführer hatte das Führerbremsventil aus versehen in der Füllstellung belassen und damit die HL grandios überladen. Die Alternative wäre das abziehen der A-Kammer gewesen und ein strammer Marsch. Dazu ist der Schnelldruckregler auf 7 bar einzustellen und um 0,1 bar pro Minute zu senken. Das geht natürlich nur bei der Bremsprobe und Stillstand des Zuges. Im Betrieb sind aber Überladungen bis 5,3 bar ohne Probleme zu beseitigen. Es hat zwar 20 Minuten gedauert, aber funktioniert. Es ist ohne Zweifel bequemer auf dem Führerstand langsam den Schnelldruckregler zu drehen, als 1400 Meter zusätzlich zu laufen.
Nu ei verbibbsch!

In welcher Brevo finde ich denn diese Bremsprobe??
Also ich komme bei einer vollen Bremsprobe auf 6 X 700m = 4200 Meter

Bild

Und das macht besonders viel Spass bei diesen Wagen hier links, wenn kein langstieliger Wagenmeisterhammer auf der Lok und daher die Fußprobe erforderlich wird, das zwingt einen sprichwörtlich in die Knie!

Bild

Arbeiten wo andere urlauben:

Bild

regards
didig

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F. Schn.
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Re: Bremsen in Unterricht und Praxis

#85 Beitrag von F. Schn. »

Die Wegstrecke die Jörg beschreibt bezieht sich nach meinem Verständnis nicht auf die Bremsprobe, sondern allein auf den Wegegang für das Abziehen der A-Kammer.
Diese Signatur möchte folgendes bekannter machen: ZusiWiki · ZusiSK: Streckenprojekte · YouTube: Objektbau für Zusi · euirc: Zusi-Chat

Jörg Haase
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Re: Bremsen in Unterricht und Praxis

#86 Beitrag von Jörg Haase »

Sehr richtig. Zudem war das ganze Anno 1982 und da gab es noch eine andere Brevo und ein ungeschriebenes Gesetz.
Wir erinnern uns! Züge fuhren pünktlich und Bremsstörungen waren sehr selten.

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Thomas U.
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Re: Bremsen in Unterricht und Praxis

#87 Beitrag von Thomas U. »

didig hat geschrieben: 08.08.2022 11:55:13Arbeiten wo andere urlauben
Du bist fies :( Bestell' dem Oberaudorfer Bahnhof mal schöne Grüße, der vermisst mich nach bald drei Jahren Nichtbesuch bestimmt schon...

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