Bahnstrom - Quid est hoc ?

Fragen der echten Bahntechnik, Lokbedienung, PZB usw.
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Tommy0815
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Bahnstrom - Quid est hoc ?

#1 Beitrag von Tommy0815 »

Moin moin zusammen ! :elk

Dieser Fragenkatalog richtet sich jetzt mal an alle Elektriker (oder die die aus anderen Gründen bescheid wissen)! :)

Es geht diesmal um das Thema Bahnstrom. :idee


1.) Der Bahnstrom hat 15 Kva bei 16,7 Hertz (früher 16 2/3 Hz., wobei dies immer noch im zulässigen Toleranzbereich liegt). Weiß jemand wieso man ausgerechnet 16,7 Hz genommen hat ? Ich habe noch in Erinnerung, dass es irgend etwas mit einem Bürstenfeuer auf sich hat und das 16,7Hz Ungefähr 1/3 der Netzfrequenz des "regulären" Stromnetzes entsprechen.

2.) Die EU hat vor, längerfristig ein einheitliches Bahnstromnetz aufzubauen. Was müsste man alles für Baugruppen an den Elektrolokomotiven ändern um eine andere Spannung und/oder andere Netzfrequenz verwenden zu können ?

3a.) Wie lange hält eine gängige E-Lok eine Unterspannung aus & wie viel darf diese maximal betragen ?

3b.) Selbe Frage für Überspannung.

4.) Wie lang darf/kann ein zusammenhängender Oberleitungsabschnitt sein ?
Zuletzt geändert von Tommy0815 am 29.06.2018 12:29:38, insgesamt 1-mal geändert.
Tommy

Alwin Meschede
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#2 Beitrag von Alwin Meschede »

Tommy0815 hat geschrieben:2.) Die EU hat vor, längerfristig ein einheitliches Bahnstromnetz aufzubauen.
Ja, das geistert schon seit Jahrzehnten durch die Bahnwelt. Also man würde gerne langfristig umstellen auf 25 kV und 50 Hz, weil man dann sehr elegant sich auch aus dem öffentlichen Netz versorgen kann. Es wurden und werden auch Bauvorleistungen dafür erbracht. Neue Fahrleitungsanlagen sind schon seit langem für 25 kV isoliert. Sogar die DDR hat seit den 1970er Jahren dafür Vorleistungen erbracht und vorsorglich für 25 kV isoliert. Also man dachte auch im Ostblock in die gleiche Richtung, wenn auch nicht unter dem Gesichtspunkt europäischer Vereinigungsprozesse.

Bei Drehstromfahrzeugen ist die Tauglichkeit für 25 kV und 50 Hz praktisch kaum Mehraufwand. Dafür vorgerüstete Triebfahrzeuge sind jetzt seit 20 Jahren Stand der Technik. Für die verbliebenen konventionellen Loks kann man eine Umstellung allerdings vergessen. Man müsste die Motoren und Trafos komplett austauschen, was sich wohl kaum lohnen würde.

Etwas später kam dann die Anforderung hinzu, dass man zusammen mit der Einführung von 25 kV und 50 Hz gerne auch einen einheitlichen europäischen Stromabnehmer einführen würde, die sogenannte "Eurowippe". Bei diesem Stromabnehmer muss der Fahrleitungs-Zickzack geringer ausfallen als bislang in Deutschland üblich (+/- 30 cm anstatt wie bisher +/- 40 cm). Die gute Nachricht ist: Die deutschen Fahrleitungsbauarten Re 250 und Re 330 sind seit Anbeginn eurowippentauglich errichtet worden. Die schlechte Nachricht ist: Bei Altanlagen ist so ein Umbau praktisch nicht ohne Kompletterneuerung der Fahrleitungsanlage zu bewerkstelligen, weil durch den geringeren Zickzack die Masten dichter beieinander stehen müssen. Derzeit verfährt man in Deutschland so, dass man Eurowippentauglichkeit herstellt, wenn es sich um eine transeuropäische Kernstrecke handelt, und man die Fahrleitungsanlage sowieso komplett erneuern muss. Im Knoten Erfurt hat man das zum Beispiel durchgeführt. Abseits der Kernkorridore werden aber auch heute noch Fahrleitungen mit dem 40er Zickzack gebaut.

Meine Prognose: Eine Umschaltung des deutschen Netzes auf 25 kV und 50 Hz werden wir zu unseren Lebzeiten nicht mehr erleben. Dafür ist noch viel zu viel Altbestand vorhanden.
Zuletzt geändert von Alwin Meschede am 29.06.2018 12:49:02, insgesamt 1-mal geändert.
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KlausMueller
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#3 Beitrag von KlausMueller »

Alwin Meschede hat geschrieben:
Tommy0815 hat geschrieben:2.) Die EU hat vor, längerfristig ein einheitliches Bahnstromnetz aufzubauen.
Ja, das geistert schon seit Jahrzehnten durch die Bahnwelt. Also man würde gerne langfristig umstellen auf 25 kV und 50 Hz, weil man dann sehr elegant sich auch aus dem öffentlichen Netz versorgen kann.
So denkt man gerne, wenn man die Sache oberflächlich betrachtet. Schaut man genauer hin, dann stellt man fest, dass eine ein- oder zweiphasige Last, wie es nunmal ein Bahnunterwerk ist, auf dem Dreiphasennetz eine Spannungsunsymmetrie verursacht, die abhängig von der Kurzschlussleistung des Drehstromnetzes und der Last des Bahnunterwerks ist. Sollen die Grenzwerte für die Spannungsunsymmetrie eingehalten werden, braucht es recht leistungsfähige Hochspannnungsleitungen für den Anschluss, die auch nicht überall in Bahnnähe vorhanden sind.

Will man an eine weniger leistungsfähige Leitung anschließen, gibt es zwei Möglichkeiten:
  • Aktive Schieflastkompensation
  • 3- zu 2-Phasen-Umrichter
Beides erfordert Leistungselektronik und damit werden die Unterwerke teuerer als klassische, nur aus Schaltanlagen und Transformatoren und der dazugehörigen Sekundärtechnik bestehende Unterwerke. Zudem muss man bedenken, dass Leistungselektronik höhere Ausfallraten als Transformatoren oder Schaltanlagen hat und man daher mehr Aufwand für die Verfügbarkeit treiben muss (z.B. durch mehr Redundanz der Ausstattung).

In der Summe stellt es sich so dar, dass in Bereichen in denen schon ein eigenes Bahnstromnetz existiert die Umstellung auf 50Hz alles andere als wirtschaftlich ist. In Ländern, in denen diese Voraussetzung nicht gegeben ist und erst in ein Bahnstromnetz investert werden müsste schaut es anders aus.

F(R)S-Bauer
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#4 Beitrag von F(R)S-Bauer »

Hallo,

zur Frage 1,

in der Anfangszeit der Elektrischen Eisenbahn konnte man einfach kein leistungsfähigen Wechselstrommotoren für 50Hz bauen. Die Bürsten und Schleifringe hielten das nicht aus. Bei der Gleichstromtechnik war man schon weiter, dafür kam man mit den Spannungen nicht hoch genug, und Leitungshalbeiter noch lange nicht erfunden. Rohren waren mal so in den ersten Labors gesichtet worden und "Raketentechnik". Es gab zwar Wechselrichter, das waren aber Zerhacker mit Mechanischen Kontakten!

Also versuchte man mit der Frequenz so niedrig wie möglich zu kommen um Motortechnisch Richtung Gleichstrom zu laufen, aber noch hoch genug um es durch einen Trafo zu schicken. Und man wollte kein Grades mehrfaches von 50Hz haben, weil man damit die 50Hz Gleismelder störte. (Das hatte man schon gemerkt...)
Somit fiel die Entscheidung für 16²/3 Hz, und später dann 15000 Volt.

Die Erste 50Hz Versuchsstrecke war auf der Höllentalbahn in den 30er, zusammen mit einigen E44, die die Ersten tauglich 50Hz Motoren hatten.
Nach dem Krieg wurde das nicht weiter verfolgt, es gab ein Entwicklungsverbot und auf vielen Strecken rissen die Sieger die Oberleitung als Reparationen ab.
Erst Mitte der 50er fiel dann die Entscheidung die Hauptstrecken zu Elektrifizieren, vorher hatte man noch Versuche mit der V300 gemacht, um eventuell alles zu verdieseln, wenn die massenhaft vorhanden Dampflok zur Verschrottung anstanden.

MfG

Ralf

PS: Ein derartiges Programm wie die Elektrifizierung würde man heute nur noch hin bekommen, wenn man Flächendecken die Eisenbahn in Radwege umbauen würde oder die Autobahnen auf 18 Spuren ausbauen täte...[/Sarkasmus]
Zuletzt geändert von F(R)S-Bauer am 29.06.2018 23:20:55, insgesamt 1-mal geändert.
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Achim Adams
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#5 Beitrag von Achim Adams »

Zu 1)

Anders als bei Gleichstrommotoren, bei denen die Drehzahl von der Spannung und Strom abhängig ist, ist bei Drehstrommotoren die Drehzahl von der Frequenz und der Anzahl der Polpaare abhängig. Erhöhe ich beim Drehstrommotor die Spannung, läuft dieser zwar kräftiger, aber nicht schneller (von geringen Abweichungen durch Schlupf mal abgesehen). Entsprechend bei den Generatoren, die erzeugte Frequenz ist von der Drehzahl und den Polpaaren abhängig. 16 2/3 Hz waren relativ einfach abzuleiten.

Bedingt durch andere Techniken hat man festgestellt dass bei heutigen Generatoren der Schlupf eine wesentliche Rolle spielt, und man zwischenzeitlich auch Frequenzen unabhängig von der Polzahl erzeugen konnte. Deswegen wurde die Frequenz geringfügig von 16,66666 auf 16,7 Hz angehoben. Vereinfacht dargestellt. Genauere Erklärungen mit detaillierten Formeln finden sich auf Wikipedia.

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Achim Adams
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#6 Beitrag von Achim Adams »

Zu 3)

Die 15kV sind nominell und weichen im täglichen Betrieb um bis zu 3kV nach oben oder unten ab. Die Abweichungen ergeben sich aus der Entfernung zum Unterwerk sowie aus der Belastung durch andere Züge. Werte um 16,5 kV sind völlig normal, wobei ich vorgestern mal mit Werten um 13,0 kV herumgefahren bin.

Nach unten hin ist das für eine Lok theoretisch unkritisch, außer dass verschiedene Hilfsbetriebe nicht mehr die Leistung bringen die sie bringen sollen. Kaputt geht davon (in gewissen Zeitgrenzen, durch höhere Laufzeiten um die geforderte Leistung zu erbringen) nix. Nach oben hin ist da ebenfalls reichlich Luft, bis da was kaputt geht muss die Spannung schon sehr erheblich überhöht sein. Sowohl Über- als auch Unterspannung lassen sich schon seit geraumer Zeit technisch überwachen, und werden auch technisch überwacht.

Bei den Einheitslok der Deutschen Bundesbahn (E10, E40 & Co.) war am Fahrschalterhandrad im oberen Bereich eine Spannung angegeben, bis wohin der Fahrschalter gestellt werden sollte. Regulär bei 15kV bis Stufe 26, bei niedriger Spannung auch bis Stufe 28, bei höherer Spannung nur bis Stufe 24. Technisch schädlich war das zwar nicht, aber betrieblich sinnvoll.

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Achim Adams
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#7 Beitrag von Achim Adams »

Zu 4)

Was versteht du unter einem zusammenhängendem Abschnitt?

Rein physikalisch durch die Längenausdehnung durch Temperatur ergibt sich ein maximale Länge von 1700m, etwa in diesem Abstand (eher 1400m) wird die Oberleitung mechanisch "abgespannt" und neu einfädelt. Elektrisch ist das allerdings verbunden, praktisch daher durchgänging.

F(R)S-Bauer
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#8 Beitrag von F(R)S-Bauer »

Zu 1) und Ergänzung zu Achim,

Der Gleichstrommotor und der 1Phasen Wechselstrommotor sind Bauartverwand, den 1Phasen Wechselstrommotor kann man auch als Allstrommotor bauen.
Im Gegensatz dazu ist der Drehstrommotor, der Brauch aber 3Phasen Wechselstrom, allgemein als Drehstrom bezeichnet.
Der Einsatz von Drehstrommotoren bei der Bahn war Bereits 1901, als auf der Versuchsbahn bei Zossen (Google) 200Km/h mit einer Speziellen Fahrleitung die Seitlich 3 Leitungen hatte, erreicht wurden. In Italien gab es Jahrzehntelang ein Drehstromnetz mit einer 2pol. Oberleitung und dem 3. Pol als Schiene. Die Bauart der Weichen war aber sehr Kompliziert, weswegen es kein weiter Verbreitung gefunden hat.

Der Vorteil des Drehstrommotor sind kleiner Bauweise und als Asynchronmaschine kein Bürsten, also Wartungsarm bis Wartungsfrei.
Der 1Phasen Motor oder Gleichstrommotor hat immer Büsten und Schleifringe, die Verschleißen und müssen erneuert werden.

Erst mit Aufkommen der Leistungshalbleiter und der Frequenzumformer/4Quartantensteller samt Zwischenkreisen die aus Gleich oder Wechselspannung Drehstrommachen machen, war ein Flächendeckende Anwendung möglich. Nur erkauft man sich das mit sehr viel Elektronik in der Lok. Es wäre zu hinterfragen was in der Summe, hier Wechselstrommaschiene und Schaltwerk, dort Gleichrichtung-Zwischenkreis-4QS Billiger, Robuster und Störärmer ist.

MfG

Ralf
Zuletzt geändert von F(R)S-Bauer am 30.06.2018 23:24:28, insgesamt 3-mal geändert.
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Tommy0815
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#9 Beitrag von Tommy0815 »

Was versteht du unter einem zusammenhängendem Abschnitt?

Hast du mir im zweiten Block schon beantwortet. Genau das meinte ich: Wie lang ein zusammen hängender Block technisch maximal sein darf bis man ihn unterbrechen muss.
Tommy

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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#10 Beitrag von td1 »

Achim Adams hat geschrieben:Zu 3)

Sowohl Über- als auch Unterspannung lassen sich schon seit geraumer Zeit technisch überwachen, und werden auch technisch überwacht.
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang vielleicht das Spannungsrückgangsrelais (Unterspannungspannungsrelais), das bei Unterschreiten der Mindestspannung (10,5 kV) zeitverzögert den Hauptschalter ausschaltet.

lg, td1

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F Sch
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#11 Beitrag von F Sch »

Tommy0815 hat geschrieben:Wie lang ein zusammen hängender Block technisch maximal sein darf bis man ihn unterbrechen muss.
Das ist auch von der verwendeten Oberleitungsbauart und den bei der Konstruktion gewählten und berechneten Parametern wie b-Maß abhängig. Nachspannungen im Mittel zwischen 1400 und 1700 m, daneben wird in etwa mittig zwischen den Nachspannungen an Festpunkten der Fahrdraht befestigt. Elektrisch getrennt wird meistens beidseitig zwischen Bahnhöfen und freier Strecke, daneben gibt es oft Schutzstrecken. Diese dienen meist dazu verschiedene Speiseabschnitte zu trennen. Daneben gibt es auch die bekannten Systemtrennstellen, zum Beispiel an der deutsch-französischen Grenze im Deutschmühlental zwischen Saarbrücken und Saint-Avold oder in Aachen Hbf. Hier wird von einem Stromsystem zu einem anderen gewechselt.

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Achim Adams
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Re: Bahnstrom - Quid est hoc ?

#12 Beitrag von Achim Adams »

Tommy0815 hat geschrieben:Hast du mir im zweiten Block schon beantwortet. Genau das meinte ich: Wie lang ein zusammen hängender Block technisch maximal sein darf bis man ihn unterbrechen muss.
Nein, hast du ungenau gefragt: wie lang darf der Block "elektrisch" sein ist was anderes als wie lang darf der Block "mechanisch" sein.
Mechanisch, wie schon erwähnt, um die 1400m bis 1700m, dabei ist der aber elektrisch verbunden. Elektrisch etwa 50km bis ich eine neue Einspeisung durch ein neues Unterwerk brauche.

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